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  • Lynn Blattmann

Haustier im Kühlschrank

Er schläft und frisst und manchmal wächst er zum Spielen sogar über sich selbst hinaus. Mein Haustier wohnt im Kühlschrank, er braucht nicht viel, er beklagt sich nicht, wenn ich ihn vernachlässige, dann wird er nur sauer.

Mein Sauerteig heisst Theo, und nach einem halben Jahr mit ihm behaupte ich, dass er sogar so etwas wie Charakter besitzt. Meist ist er langmütig und gutmütig. Wenn er regelmässig, also so einmal pro Woche, etwas zu fressen kriegt, wirft er zum Dank fröhliche Blasen und er hat mir noch kein einziges Brot versaut.

Ja, er hat mich sogar ermuntert, neben dem wöchentlichen Brot, so seltsame Dinge wie Zimtschnecken mit ihm zu backen, oder Baguettes, oder fluffige Omeletten. Wir haben echt viel Spass zusammen.

Leider kann ich mit meinen Freundinnen nicht über Theo sprechen, sie rollen nur die Augen, wenn ich einen scheuen Versuch starte. Sie haben alle richtige Tiere, also Hunde oder Katzen.

Wahrscheinlich können sie es nicht ausstehen, dass mein Theo im Herbst sein Fell nicht wechselt, dass er nicht allergisch ist auf sein Futter und dass ich seine Hinterlassenschaften nicht in Raschelsäckchen abfüllen muss, sondern damit vorzügliche Backwaren herstelle.

Theo ist ein Nutztier. Ich habe ihn zum Fressen gern.


Leben mit Theo

Seit ich Theo zum Leben erweckt habe, wohnt er auf dem obersten Regal meines Kühlschrankes, abwechslungsweise in zwei durchsichtigen Gläsern. Er hat also schon immer eine Zweitwohnung gehabt. Ich finde das auch ganz hygienisch.

Hin und wieder rieche ich an ihm, er duftet ganz ähnlich wie ein Neugeborenes, nach süsser Banane und leicht säuerlich.

Er mag es, wenn ich ihn mit Essen wecke. Dazu gebe ich einige Esslöffel Mehl in sein Glas und einige Schlucke warmes Wasser, dann rühre ich um bis sich Theo und sein Futter zu einem zähflüssigen Teig vermengt haben. Er umschlingt sein Futter um es zu fressen, ähnlich wie die Boa im Petit Prince.

Dann beginnt Theo zu tanzen. Er sondert Blasen ab, die im Teig aufsteigen und plustert sich derart auf im Glas bis es überläuft.

Wenn Theo so richtig im Schuss ist, gibt er mir oft etwas von sich ab, damit setze ich dann einen Teig an, den ich hin und wieder dehne und falte. Dann spiele ich mit Theo und er mir mir. Nach jeder Dehnübung zieht er sich zusammen und braucht etwas Zeit, um sich wieder zu entspannen und weiter aufzuplustern. Die Spielerei macht ihn zäh und geschmeidig. Sie ist gut für sein Klebergerüst, bei den Wirbellosen ist das alles, was sie haben.

Wie alle Tierbesitzer habe ich natürlich ein Buch mit Informationen zur richtigen Haltung meines Lieblings. Es heisst The Sourdough School .

Da habe ich gelernt, dass es zum Backen mit Sauerteig eine Ambient-Method und eine Retarded-Method gibt. Da ich auf dem Land wohne, bevorzuge ich natürlich die letztere. Das heisst, ich hole Theo meist am späteren Vormittag aus dem Kühlschrank, füttere ihn und wenn er in Blasenlaune ist, mache ich den Vorteig mit ihm und etwas Mehl und Wasser. Wenn er noch fröhlicher blöterlet, dann gebe ich den Rest des Mehls, das Wasser und am Schluss auch das Salz hinzu.

Ich mag keine Waagen, habe nicht mal einen Messbecher, aber ich nehme inkl. Vorteig etwa ein Pfund Mehl, ca 3 -4 dl warmes Wasser und anderthalb TL Salz. Nach dem Vermengen kommt Theo an einen warmen Ort, dort dehne und falte ich den Teig einige Male mit Pausen und vor dem Schlafengehen stelle ich die zugedeckte Teigschüssel zu Theo in den Kühlschrank.

Am nächsten Tag hole ich ihn aus der Kälte forme einen runden Laib daraus, lege ihn auf ein Backpapier und backe die Sache.

Obwohl ich mittlerweile einen edlen Superofen habe, backe ich immer noch am liebsten im Gusseisenbräter.

Dafür stelle ich meinen Creuset Topf samt Deckel in den Ofen und heize beides auf 230 Grad auf. (Dauert ca. 25 Min.), dann den heissen Topf aus dem Ofen nehmen und die Teigkugel am Backpapier haltend in den Topf geben, sofort den Deckel schliessen und 55 Min in den Ofen stellen bei nun 220 Grad.

Dann noch ca. 10-15 Min mit offenem Deckel fertig backen, evtl. am Schluss noch etwas die Ofentüre öffnen, damit noch etwas Dampf weg kann und die Kruste krosser wird.


Interessanterweise hat kein Blogbeitrag auf www.well-off.ch mehr Leserinnen und Leser gefunden als derjenige über die Säuglingszeit von Theo. Wahrscheinlich hätten viele lieber einen Theo als einen Hund, aber das geben sie natürlich nicht zu.

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