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Lynn Blattmann

Zuckerwatte von der Chilbi


Jahmarkt oder Chilbi sind typische Herbstfeste, die es seit Jahrhunderten gibt. Nachdem die Ernte eingefahren war, deckte sich die Bevölkerung vor dem nahenden Winter nochmals mit allem ein. Zu einem Jahrmarkt gehörte früher wie heute viel Spass, Unterhaltung, ungesundes Essen und der Einkauf von besonderen Artikeln. Im Mittelalter war ein Jahrmarkt oft das wichtigste gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Am Jahrmarkt trafen sich alle Schichten, Alter, Berufe. Dort wurden Geschäfte gemacht, Ehen geschmiedet, Geld ausgegeben gegessen und getrunken und natürlich gefestet. Wer nicht versteht, warum die OLMA in der Schweiz heute noch so wichtig ist, muss in die Geschichte schauen. Denn im Kern ist die OLMA bis heute eine Art Jahrmarkt.

Heute git es den Spass noch in Form von Schiessbuden, Karussells, Achterbahnen oder Gruselkabinetts, früher gab es wilde Tiere, missgebildete Menschen oder andere Kuriositäten zu bestaunen. Darauf wird heute zum Glück verzichtet. Dafür gibt es an der Chilbi heute noch die Art von Streetfood, vor der uns schon unsere Eltern gewarnt hatten.

Es gibt Zuckerwatte, Mohrenköpfe, Magenbrot, gebrannte Mandeln, Lebkuchen, türkischer Honig, Würste, und alles, was man mit viel geschmolzenem Käse machen kann, dazu Bier, Wein oder Most.

Davon muss es einem ein bisschen schlecht werden. Das gehört dazu. Denn an der Chilbi, da wird alles Geld verputzt, das war schon früher so, denn das Gesinde bekam oft den Jahreslohn vor dem Jahrmarkt. Bei uns war das eher das Taschengeld, dieses musste weg. Die Aufregung vor der Chilbi war unbeschreiblich, es war eine Erwartung, eine Zeit, in der man ausrechnete, wie lange das Geld wohl reichen würde und ob man es besser für drei Runden auf dem Riesenrad oder doch lieber für ganz viel Zuckerwatte und Magenbrot ausgeben wollte.

Warum eigentlich Zuckerwatte?

Kulinarisch ist Zuckerwatte ziemlich banal, sie besteht aus Kristallzucker, und Aroma. Der Zucker wird so zentrifugiert, dass die Kristalle amorph werden und er wattenartig auf einen Stengel gewickelt werden kann. Wenn wir die Watte mit der Zunge berühren, schmilzt sie rasch, im Mund vergeht sie fast augenblicklich und lässt nur Süsse und etwas Aroma zurück. Eigentlich ist Zuckerwatte eine Art Fake-Food, eine optische und geschmackliche Illusion. Zuckerwatte wird zwar erst seit rund 120 Jahren so wie heute hergestellt, aber es gibt auch in anderen Kulturen zuckerwattenähnliche Leckereien, die ähnlich beliebt sind. Die Zuckerwatte ist exemplarisch für den Jahrmarkt geworden, ähnlich wie das Magenbrot, das zwar mittlerweile auch in der Migros gekauft werden kann, aber nur vom Jahrmarkt so richtig schmeckt.

Sehnsucht Volksfest

Jahrmärkte spielten schon immer mit der Sehnsucht der Leute. Sie verkauften Illusionen in Form von Süssigkeiten, sie verkauften aber auch das Gefühl der Zugehörigkeit. Wer an die Olma geht, gehört zur Ostschweiz. Denn richtig Spass macht es nur, wenn man dort Leute kennt. Das gilt auch für die vielen Chilbis im Land, am schönsten ist es dort, wo man Bekannte hat, an die Chilbi geht man nicht unbedingt zu zweit, sondern in Gruppen, man trifft sich, zieht mit anderen weiter und amüsiert sich. Chilbis sind der Inbegriff dessen, was uns seit Corona fehlt, es ist der Rummelplatz des Lebens. Orte, wo man einander so nah ist, dass man die Wurst des Nachbarn riechen kann. Dieses Jahr findet die OLMA nach einem Jahr Pause wieder statt, am Ende werde ich auch mal wieder hingehen.

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