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Lynn Blattmann

Die Erfindung des Restaurants


Vor der Französischen Revolution gab es in Europa keine Restaurants im heutigen Sinn. Man ass einfach zuhause.

Üppig gegessen wurde vorallem in adligen Kreisen und zwar an den Höfen. Das Volk schmauste höchstens an Festtagen. Für die meisten Menschen diente das Essen damals der Ernährung, nicht dem Genuss. Man ass täglich Suppen, Eintöpfe, oder Mus.

Wer reisen musste, nahm Proviant mit. Es gab zwar Schenken in den Gasthäusern, wo jeweils die Pferde gewechselt oder gefüttert wurden, aber zu essen gab es dort meist nur Brot und Eintopf oder Suppe. Nicht selten war die Suppe vom wiederholten Aufkochen bereits etwas schleimig geworden. Auswärts essen war damals also meist kein besonderer Genuss.

Dies änderte sich erst als das Restaurant erfunden wurde als Ort, an dem sich der Gast "restaurieren" also erholen konnte.

Ein frühes Restaurant in Paris


Essen à la carte

In den Jahren vor der Französischen Revolution erstarkte das Bürgertum in den Städten. Es fehlte allerdings damals noch an ausserhäuslichen öffentlichen Orten, an denen sich die wohlhabender gewordenen Menschen treffen konnten. Die Idee der Restaurants stiess damals auf eine gute Nachfrage. In den ersten Restaurants, die in Paris entstanden, wurde nur Bouillon serviert, der Verkauf von anderen Speisen war schlicht verboten. Dies änderte sich nach der Revolution, dann konnten die Bürgerinnen und Bürger individuell bestellen. Die Möglichkeit des à la Carte Essens machte die Restaurants rasch populär. Die neuen Restaurants wurden zu wichtigen Orten der Öffentlichkeit für das aufstrebende Bürgertum. Man ass dort nicht nur, sondern man zeigte sich dort auch. Sehen und gesehen werden war schon damals ein wichtiger Aspekt der Restaurants.

Nach der Französischen Revolution verbreitete sich die Idee der Restaurants, als Orte, an denen man sich erholen konnte, indem man an Tischen in kleinem Kreis oder zu zweit auf Bestellung essen konnte, auch in anderen Städten.


Gasthäuser auf dem Land, Restaurants in den Städten

Restaurants als Orte des gepflegten Essens à la carte blieben aber lange ein städtisches Phänomen, auf dem Land dominierten für weitere hundert Jahre die Gasthäuser mit einem trationelleren weniger variantenreichen Essensangebot.

Es war aber längst nicht nur das Essen, das die Menschen in Restaurants zog, sie waren auch Orte der Geselligkeit. In vielen Restaurants lagen Zeitungen auf und in einigen wurde auch Kaffee angeboten. In Restaurants erholte man sich nicht nur, man diskutierte über Politik, machte auch Geschäfte und es wurden auch Ehen angebahnt.


Gründung des ersten italienischen Restaurants in Hamburg 1905


Industrialisierung bringt neuen Schub

Im Zuge der Industrialisierung kam es zu grossen Wanderungsbewegungen der Menschen. Polen fanden Arbeit im Ruhrgebiet, katholische Bergler in Zürich oder Basel. Alle Neuzugezogenen brachten ihre eigenen Essensbräuche mit. So enstanden mit etwas Zeitverzögerungen in allen Städten auch Spezialitätenrestaurants. Mit ihnen verbreiterte sich auch das Speiseangebot der Restaurants erheblich.

Dieses Angebot wurde zwar anfänglich meist nur von der eigenen Klientel genutzt, nach und nach erweiterte sich jedoch der Appetit der Gäste und sie waren bereit, Neues auszuprobieren.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Restaurantszene stark internationalisiert. Die Restaurants überboten sich mit neuen Kreationen und Spezialitäten. Mit dem wachsenden Nahrungsmittelangebot stieg auch der Variantenreichtum der Speisekarten ins Unermessliche. In den Restaurants haben wir manche fremdländische Speise schätzen und lieben gelernt. Noch immer sind Restaurants primäre Orte des Ausgangs für das jüngere und das ältere Publikum.


Gekappte Nerven der Geselligkeit

Erst als im Zug der Corona-Pandemie alle Restaurants geschlossen werden mussten, wurde uns bewusst, wie wichtig die Restaurants für uns sind. Natürlich können wir mittlerweile auch zuhause sehr gut kochen, aber in einem Restaurant verwöhnt zu werden und sich beim Essen, sowie vorher und nachher nur seinen Freunden und dem Tischgespräch widmen zu können, ist eine wunderbare Errungenschaft. Wir fühlen uns im Restaurant paradoxerweise heute noch wie Adlige. Wo sonst werden wir im 21. Jahrhundert noch von A-Z bedient?

So gesehen hat sich die bürgerliche Erfindung des Restaurants bis heute einen kleinen feudalen Touch erhalten. Die Restaurants haben uns nicht nur Essmanieren gelernt, beziehungsweise wir haben diese für Restaurantbesuche eingeübt, sie haben uns auch gelehrt zu essen, was wir vorher nicht kannten. Das Essen und der Genuss im Restaurant bildet auch heute noch den Kern unserer Geselligkeit und die dadurch entstehende menschliche Nähe ist das, was das Ganze wahrlich délicieux macht.


Zur Geschichte des Restaurants gibt es einen absolut sehenswerten Film von Eric Besnard mit dem Namen Délicieux F/B 2021

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