Nicht immer ist drin was draufsteht. Das Essen der Menschen wird bereits seit Jahrhunderten immer wieder verfälscht. Schon im Mittelalter gab es Klagen darüber, dass Bäcker das Brot mit unlauteren Zutaten gestreckt haben oder Metzger verdorbene Würste verkauft haben. Allerdings haben sich das Ausmass und die Beweggründe dafür in den letzten zweihundert Jahren massiv geändert. In Jeremias Gotthelfs Käserei in der Vehfreude ist zu lesen, dass die Milchbauern bereits Mitte des 19. Jahrhunderts viel kriminelle Energie an den Tag legten, um die Milch für den Emmentaler zu panschen. Schliesslich assen die Bauern ihren Käse ja nicht selbst. Sie verdienten nur Geld damit, indem sie ihn exportierten. Gotthelfs Bauern, die gerade dabei waren, von der Selbstversorgung in eine arbeitsteiligere Wirtschaft zu wechseln, handelten wie viele, die hoffen, dass man ihnen nicht auf die Schliche kommt. Was Gotthelf damals hellsichtig als Problem einer modernen Export-Wirtschaft erkannte, sollte in den nächsten hundertfünfzig Jahren im Laufe der Globalisierung zu einigen ausgewachsenen Skandalen führen; und zwar in einem Ausmass, das er sich damals noch nicht hätte vorstellen können.
Lebensmittelbetrug hat Methode
Essen verfälschen, panschen, mit günstigen Zutaten bescheissen oder abgelaufene alte Ware umetikettierten, neu würzen und als gut verkaufen. Wir kennen die Tricks und auch die Skrupellosigkeit einiger Produzenten, die oft nicht nur gesundheitliche Schäden ihrer Kunden in Kauf nahmen, sondern sogar ihren Tod.
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Nachrichten der vielen Todesfälle nach indischen Hochzeiten, an denen gepanschter, giftiger Schnaps ausgeschenkt wurde, von dem grosse Teile von Hochzeitsgesellschaften schwer krank wurden oder gar umkamen. Vielleicht erinnern Sie sich auch an den Weinskandal vor etwa vierzig Jahren in Oesterreich, bei dem uninspirierte Winzer ihren mittelmässigen Wein mit einer Chemikalie aufpeppten, die grosse Ähnlichkeit mit Frostschutzmittel hatte, Hauptsache es gab Tränen im Rotweinglas.
Trotz dieser durch die Medien aufgedeckten Skandale, haben wir heute wenig Vorstellung über das tatsächliche Ausmass des Lebensmittelbetrugs.
Aufdecken bringt's
Die amerikanische Meereschutzorganisation Oceana hat vor zwei Jahren publik gemacht, dass der Grossteil des verkauften Meeresfisches in den USA falsch deklariert ist.
59% aller Thunfischproben war falsch. In 19 bis 38 Prozent der Proben war der Kabeljau, Heilbutt, Wolfsbarsch (Loup de mer) , oder Zackenbarsch nicht echt. Das heisst, es war nicht der Fisch drin, der auf der Packung stand, oder er kam von anderswo. Oft wurde auch billiger Zuchtfisch als teurer Wildfang verkauft. In Sushi-Restaurants waren sogar 74% des Fisches falsch deklariert. Nur wo Lachs drauf stand, war meist auch Lachs drin (In 7% der Fälle war kein Lachs drin).
Die obigen Zahlen sind aus den USA. Aber da auch dort fast aller Fisch importiert wird, wird die Sache bei uns nicht so viel anders aussehen. Man kann jetzt einwenden, dass es ja nicht gesundheitsschädlich ist, wenn jemand ein Pangasius Filet isst und für einen Wolfsbarsch bezahlt. Foodies argumentieren sogar, dass selbst schuld ist, wer so etwas nicht merkt. Das Problem liegt aber anderswo. Falsch deklarierte Fische unterlaufen alle Bemühungen zum Meereschutz, sie verarschen alle, die auf Labels setzen und sie verunsichern die Konsumentinnen und Konsumenten. Darum ist es hilfreich, wenn solche Betrüge rigoros aufgedeckt werden und Unternehmen, die solches zulassen, harte Strafen und nicht nur einen Reputationsschaden befürchten müssen.
Nicht jede industrielle Lebensmittelproduktion ist schlecht
Immer mehr Menschen glauben, dass wir durch die Lebensmittelproduzenten systematisch getäuscht werden, und dass industriell hergestellte Lebensmittel des Teufels sind. Dieser Eindruck wird verstärkt durch irreführende oder vorsätzlich falsche Deklarationen. So wird oft der Zuckergehalt in vorgefertigten Lebensmitteln so deklariert, dass nicht nachvollzogen werden kann, wie viele Würfelzucker tatsächlich in einer Tiefkühlpizza stecken.
Dieses Verhalten der Lebensmittelindustrie ist aber nicht zukunftsfähig, denn die Ansprüche der KonsumentInnen an die Lebensmittel steigen deutlich.
Die Lebensmittelindustrie ist also gut beraten, wenn sie ihre Produktions- und Lieferketten im Auge behält und der Lebensmittelsicherheit auch in Zukunft viel Aufmerksamkeit zukommen lässt. Die UNO behauptet nämlich, dass die Lebensmittelproduktion in den kommenden 30 Jahren weltweit um 70% ansteigen muss, um den Welthunger angesichts des Bevölkerungswachstums in den Griff zu bekommen. Nur mit kleinbäuerlicher Produktion werden wir diese Herausforderung nicht in den Griff bekommen. Wir brauchen also mehr gute industriell hergestellte Lebensmittel.
Nestlé entdeckt die Nachhaltigkeit
Heute war in der NZZ ein Interview mit Paul Bulcke zu lesen, dem VR-Präsidenten von Nestlé. Es trägt den Titel: «Die Schweizer haben sich an den Wohlstand gewöhnt – und vergessen, was uns hierhergebracht hat». Diese Aussage ist aus foodhistorischer Sicht sicher richtig, sie gilt aber auch für Nestlé. Der Konzern Nestlé steht für viele Essensskandale, die zwar nicht immer juristisch verfolgt werden konnten, aber den Betroffenen viel Leid gebracht haben. Als eines der letzten Beispiele erinnern wir uns an die Nestlé (Maggi) Fertignudeln, die in Indien 2015 überhöhte Bleiwerte aufwiesen und von den Behörden verboten wurden, oder die Sache mit dem Milchersatzpulver in China, das erhöhte Werte an Melanin enthielt, weswegen 300'000 Babies ins Krankenhaus mussten. Viele werfen Nestlé auch vor, dass die Nespressokapseln umweltschädlich sind, weil sie zu selten richtig rezikliert werden.
Was immer an diesen Skandalen wirklich dran ist, entscheidend ist, was die Zunft ist. Überraschend ist ja nicht, dass ein Konzern von der Grösse Nestlés in Lebensmittelskandale verwickelt ist, aber es ist aussergewöhnlich, wenn Nestlé tatsächlich einen nachhaltigeren und faireren Weg einschlagen will. Wenn es tatsächlich so ist, dass sich der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern Nestlé wegen der Schweizer Konzernverantwortungsinitiative stärker auf Nachhaltigkeitsthemen fokussiert, wie Paul Bulcke ausführt, dann bedeutet dies auch, dass dem "Food-Fraud" oder Lebensmittelbetrug von gewichtiger Stelle Grenzen gesetzt werden. Davon profitieren viele.
Herr Bulcke, wir werden Ihnen und Nestlé in Zukunft auf die Finger schauen, wenn sie es ernst meinen und ihre Gedanken nicht nur dem "Greenwashing" dienen, dann kann diese Initiative tatsächlich unser Vertrauen in die Lebensmittelindustrie wieder etwas stärken.
Wir bleiben dran.
Comentários